Die Menschen sind nicht gleich

Aus „Also sprach Zarathustra“ von Friedrich Wilhelm Nietzsche, 1883.

Von den Taranteln

Kopie (spellcheck+Heraushebungen von mir) von: http://gutenberg.spiegel.de/buch/-3248/40

Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehen? Hier hängt ihr Netz: rühre daran, dass es erzittert.

Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiß auch, was in deiner Seele sitzt.

Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beißest, da wächst schwarzer Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend!

Also rede ich zu euch im Gleichnis, die ihr die Seelen drehend macht, ihr Prediger der Gleichheit! Taranteln seid ihr mir und versteckte Rachsüchtige!

Aber ich will eure Verstecke schon an’s Licht bringen: darum lache ich euch in’s Antlitz mein Gelächter der Höhe.

Darum reiße ich an eurem Netze, dass eure Wut euch aus eurer Lügen-Höhle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort »Gerechtigkeit

Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern.

Aber anders wollen es freilich die Taranteln. »Das gerade heiße uns Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer Rache« – also reden sie mit einander.

»Rache wollen wir üben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich sind« – so geloben sich die Tarantel-Herzen.

Und »Wille zur Gleichheit« – das selber soll fürderhin der Name für Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser Geschrei erheben!«

Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also aus euch nach »Gleichheit«: eure heimlichsten Tyrannen-Gelüste vermummen sich also in Tugend-Worte!

Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und Neid: aus euch bricht’s als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.

Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn als des Vaters entblößtes Geheimnis.

Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert, – sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, ist’s nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht.

Ihre Eifersucht führt sie auch auf der Denker Pfade; und dies ist das Merkmal ihrer Eifersucht – immer gehen sie zu weit: dass ihre Müdigkeit sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss.

Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jedem ihrer Lobsprüche ist ein Wehtun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit.

Also aber rate ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen der Trieb, zu strafen, mächtig ist!

Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt der Henker und der Spürhund.

Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig.

Und wenn sie sich selber »die Guten und Gerechten« nennen, so vergesst nicht, dass ihnen zum Pharisäer Nichts fehlt als – Macht!

Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden.

Es gibt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind sie Prediger der Gleichheit und Taranteln.

Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Höhle sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie wollen damit wehtun.

Solchen wollen sie damit wehtun, die jetzt die Macht haben: denn bei diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause.

Wäre es anders, so würden die Taranteln anders lehren: und gerade sie waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner.

Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt sein. Denn so redet mir die Gerechtigkeit: »die Menschen sind nicht gleich.«

Und sie sollen es auch nicht werden! Was wäre denn meine Liebe zum Übermenschen, wenn ich anders spräche?

Auf tausend Brücken und Stegen sollen sie sich drängen zur Zukunft, und immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so lässt mich meine große Liebe reden!

Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch gegeneinander den höchsten Kampf kämpfen!

Gut und Böse, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen der Werte: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass das Leben sich immer wieder selber überwinden muss!

In die Höhe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen Schönheiten, – darum braucht es Höhe!

Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden.

Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Höhle ist, heben sich eines alten Tempels Trümmer aufwärts, – seht mir doch mit erleuchteten Augen hin!

Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben türmte, um das Geheimnis alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten!

Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schönheit sei und Krieg um Macht und Übermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichnis.

Wie sich göttlich hier Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die göttlich-Strebenden –

Also sicher und schön lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! Göttlich wollen wir wider einander streben! –

Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Göttlich sicher und schön biss sie mich in den Finger!

»Strafe muss sein und Gerechtigkeit – so denkt sie: nicht umsonst soll er hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!«

Ja, sie hat sich gerächt! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch meine Seele drehend machen!

Dass ich mich aber nicht drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier an diese Säule! Lieber noch Säulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel der Rachsucht!

Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein Tänzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer! –

Also sprach Zarathustra. [Textende des 40. Kapitels]

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In Nietzsches Hauptwerk wird ein Übermensch entworfen, dessen Eigenschaften nicht mal so klar definiert sind. Er wird als natürliche nächste Evolutionsstufe des Menschen konzipiert, wobei die Evolution nicht biologisch, sondern psychisch sein soll. Der Übermensch ist nicht der Arier, wie so oft interpretiert wird von pseudointellektuellen Geisteswissenschaftlern, die Hitler und Nietzsche gerne auf eine Stufe stellen. Der Übermensch ist vor allem ein Überwinder. Er überwindet die Falschheiten, die falschen und leeren Tugenden, den Ekel der uns auf natürlich-biologische Weise an etwas hindert, sowie den kulturellen Ekel. In Zarathustra reißt Nietzsche die Schleier herunter, die dem wirklich Bösen ein freundliches und tugendhaftes Gesicht geben. Und in diesem Kapitel deckt er auch die Motivation der ‘normalen’ Menschen auf, die dieses Spiel mit vordergründiger Tugend spielen, aber keineswegs tugendhafte Absichten haben. Hinter ihrer Maske sind diese ‘Gutmenschen’ rachsüchtige, neidische, eifersüchtige Tyrannen. Sie sind verlogen, überziehen jeden der nicht an ihre Gleichheitsideologie und ‘alternativen Fakten’ glaubt mit Beschimpfungen, erheben ihr Geschrei gegen jeden der Macht hat, wollen jeden der ihnen nicht gleicht bestrafen.

Wer kann die Parallelen zum Feminismus hier nicht erkennen?

Wer hat Schwierigkeiten die Parallelen zur Antifa zur erkennen?

Wer hat Probleme damit die Parallelen zum Sozialismus und Kommunismus zu erkennen?

Wer es nicht erkennen kann ist vielleicht nur ein Mensch. Wer es nicht erkennen will ist Mitglied der Tarantel-Gemeinschaft. Wer es erkennt und nicht überwinden will ist ein von Rachsucht getriebener Tyrann. Nur der Überwinder kann zum Übermenschen werden. Der erste Schritt auf diesem Weg ist die einfache Erkenntnis: »die Menschen sind nicht gleich.«

(Bild von pixabay)

3 thoughts on “Die Menschen sind nicht gleich

  1. “In Zarathustra reißt Nietzsche die Schleier herunter, die dem wirklich Bösen ein freundliches und tugendhaftes Gesicht geben.” Gut so.
    “Hinter ihrer Maske sind diese ‘Gutmenschen’ rachsüchtige, neidische, eifersüchtige Tyrannen.” So ist es.

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  2. “In Nietzsches Hauptwerk wird ein Übermensch entworfen, dessen Eigenschaften nicht mal so klar definiert sind. Er wird als natürliche nächste Evolutionsstufe des Menschen konzipiert, wobei die Evolution nicht biologisch, sondern psychisch sein soll.” Das ist ziemlich schwammig. Seit über hundert Jahren wird in den Salons, Kaffeehäusern und Weinkneipen darüber geredet – von Leuten, die Lichtjahre von irgendwelchen Übermenschen entfernt sind. Wir sollten uns von dieser Art von Gerede fernhalten.

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